HOME

FUTURE CINEMA

PUBLICATIONS

VITA

IMPRESSUM



Bauaufgabe Kino

© 2014, Maren Kießling, 2. überarbeitete Auflage, Halle (Saale)

Die vorliegende Arbeit wurde 2009 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg unter dem Titel „Das Kino“ im Rahmen des Seminars von Andreas Waschbüsch „Bauaufgaben moderner Architektur“ am Institut für Kunstgeschichte und Archäologien Europas verfasst.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann verwendet werden dürfen.
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Aber ich besitze keinerlei Rechte an den Bildern (bis auf eines). Diese zitierte ich nach dem Zitatrecht an Bildern laut § 51 UrhG.
Ich stelle dieses Werk (außer die Bilder) unter folgender CC-Lizenz zur Verfügung:
ccbyncby


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1 Entwicklungsgeschichte der Bauaufgabe Kino

1.1 Einfluss des Tonfilms auf die Bauaufgabe

2 Architekturtypus

2.1 Kinoarten

3 Das Moviemento, Berlin

4 Das Roxy-Theater, Berlin

Zusammenfassung

Tabellen

Quellenverzeichnis


Einleitung

Die Kurzform des Begriffs “Kinematograph“ - das “Kino“ - benennt die gebräuchliche Bezeichnung für Lichtspieltheater, Filmtheater oder auch Lichtspielhaus und ist ein Aufführungsbetrieb für alle Arten von Film. In Meyers Lexikon wird es aufgezeigt als das „Gebäude oder [den] Raum zur Vorführung von Filmen“, „die Filmvorführung selbst“ bzw. der „Film als Medium“ (Meyer 2003: 3754). In dieser Arbeit werde ich auf die Bauaufgabe Kino genauer eingehen, allerdings aus rein architekturhistorischer Sicht, die medien- und sozialgeschichtliche Abhandlung bleibt aufgrund der Komplexität des Themas außen vor. In Kapitel 1 werde ich zunächst kurz die Entwicklungsgeschichte des Kinos behandeln, um dann in Kapitel 1.1 zu untersuchen, ob und wie die Umstellung von Stummfilm auf Tonfilm die Kinoarchitektur beeinflusst hat. Im zweiten Kapitel werde ich versuchen einen allgemeinen Grundtypus der Kinoarchitektur zusammen zu fassen, was im darauf folgenden Kapitel 2.1 durch die verschiedenen Kinotypen ergänzt wird. Im den nächsten Kapiteln werde ich die Geschichte und Architektur zweier Beispiele erläutern: Das Moviemento und das Roxy – beide typisch für die Anfänge des Kinos. Das Besondere des Moviemento ist sein Grundriss und dessen Lösung, das Besondere vom Roxy die tragische Geschichte und die noch heute erhaltene ursprüngliche Fassade. --- top


1 Entwicklungsgeschichte der Bauaufgabe Kino

Ende des 19. Jahrhunderts haben viele „Pioniere der Kinematografie“ (Toeplitz 1992a) dazu beigetragen, die Technik der bewegten Bilder zu entwickeln und zu publizieren. 1893 entwickelte Thomas Alva Edison sein Kinetoscope - ein Münzfilmkasten mit einer einminütigen Filmschleife (vgl. Beller 1999: 6). 1895 kam es zur ersten öffentlichen größeren Aufführung im Berliner Wintergarten durch die Brüder Skladanowsky mit ihrem Bioscope - ein Doppelprojektor, bei dem sich zwei Linsen abwechselnd öffnen (vgl. Filmvorführer 2009, Toeplitz 1992a). Und auch die Gebrüder Lumière führten im selbigen Jahr ihren Cinématographe in Paris vor - ein Apparat, der mit Hilfe eines Greifers und Perforationslöchern den Film transportierte, gleichzeitig Aufnahme-, Kopier- und Projektionsgerät (vgl. Filmvorführer 2009, Frizot 1996). Der Siegeszug des Kinematographen war nicht mehr aufzuhalten.
Die frühesten Kinos waren die Wanderkinos. Die Apparate zogen meist mit den Jahrmärkten von Stadt zu Stadt und wurden auch in dieser Atmosphäre „in Gesellschaft von Seiltänzern, Tierdresseuren, Schlangenbeschwörern und Akrobaten“ (Bode 1957: 14) gezeigt. Aber auch in Zelten auf Volksfesten, in Schulsälen, in Gaststätten und in allen möglichen weiteren dafür geeigneten Räumen fanden die Filmvorführungen statt (vgl. Bode 1957: 14, Brauns 2007: 237f, Brosch 2003: 31f).
Adolph Zukor, späterer Paramountchef, kam 1904 als erstes auf die Idee einen separaten Kinosaal einzurichten. Im Obergeschoss der 14. Avenue in New York entstand die „Crystal Hall“. So genannt, weil von den Arkaden im Erdgeschoss eigens konstruierte Glastreppen, durchflossen von einem wechselfarbig angeleuchteten Wasserfall, zum Kino hinauf führten (vgl. Toeplitz 1992b).
Erste weitere stationäre Kinos, sogenannte Ladenkinos, gab es ab 1905/06. Sie wurden in Geschäftshäusern in den vorhandenen Läden oder Gaststätten eingerichtet (vgl. Brauns 2007: 238, Zeh 2007: 94). Das 1. Kinotheater, ein Nickelodeon, wurde 1905 in Pittsburgh gegründet. Gründer waren John P. Harris und Harry Davis. Der Eintritt kostete einen Nickel, es gab 96 Plätze und die Vorstellung lief von 8-24 Uhr. Innerhalb einer Woche nahmen sie dort über 100 Dollar ein. 1910 gab es bereits um die 10000 Nickelodeons in den Vereinigten Staaten. (vgl. Toeplitz 1992c)
Ausgestattet wurden die Räume der Ladenkinos meist nur mit dem Verschlag für den Projektionsapparat, der Leinwand und der Bestuhlung für 50 bis 100 Plätze. Dazu kam noch ein Klavier oder Harmonium, in den frühen Jahren noch ein Lesepult für den Erklärer der Stummfilme und der Schankbetrieb. (vgl. Bode 1957: 15, Brauns 2007: 239f, Brosch 2003: 32, Gabler 1950: 4, Zeh 2007: 24-27) Die Kasse befand sich am Eingang oder auf der Straße und die Fenster dieser meist lang gestreckten Räume wurden abgedeckt oder zugemauert. Die Schaufenster der Läden dienten als Reklamefläche oder auch gleichzeitig als Projektionsraum. (vgl. Brauns 1957:16, Brosch 2003:32, Zeh 2007: 24)

Ladenkino
(Quelle: Brauns 2007: 241 Abb.23)
Beispiel-Grundriss für ein Ladenkino. Mehrere Räume wurden zu einem Zuschauerraum zusammen gelegt. Ein Foyer ist nicht vorhanden. Die Fenster sind deutlich zu erkennen.

„[E]inen kleinen Verschlag für den Operateur, in irgendein verfügbares Eckchen eingebaut; gegenüber an der Kurzwand die prall angespannte Bildleinwand, davor ein kläffendes Klavier und vielleicht auch noch ein quäkendes Harmonium für Todesfälle; ferner ein kleines Büffet, die möglichst engen Klappstuhlreihen und einen kleinbürgerlichen Kleiderschrank als Kassenraum neben dem Eingang.“ (Zielinski 1989: 76)
Die Nachfrage beim Publikum war groß, täglich besuchten Millionen von Menschen in Deutschland die Kinos. 1910 gab es in Berlin bereits 260 ständige Kinematographentheater. Der Film wurde in allen Gesellschaftsschichten beliebt und sogar zu Lichtspielsälen umgebaute Ballsäle, Konzertsäle oder Markthallen reichten dem Publikum bald nicht mehr aus. Die ersten eigenen Gebäude ausschließlich für Filmvorführungen entstanden. Das Kino wurde zur Bauaufgabe. (vgl. Bode 1957: 16, Brauns 2007: 242, Brosch 2003: 32)

Cines
(Quelle: Gabler 1950: Tafel I Abb.102)
Das Cines am Nollendorfplatz. Später auch Ufa-Pavillon oder Ufa-Palast genannt.

Das erste freistehende Kinotheater war das Cines am Nollendorfplatz in Berlin, erbaut von Oskar Kaufmann ca. 1910-12 mit 678 Plätzen. (vgl. Boeger 1993: 9, Brauns 2007: 242, Gabler 1950: 6) Die Gestaltung der Filmtheater orientierte sich zunächst an der klassischen Theaterarchitektur, nicht nur aufgrund der gleichen Funktionalität, sondern auch um die erhoffte Theater-Atmosphäre und das Prestige zu erlangen (vgl. Bode 1957: 16f, Brauns 2007: 243, Brosch 2003: 33, Gabler 1950: 5) Der Kinosaal wurde in ein „Ensemble von Räumen eingefügt“ (Brauns 2007: 243). Den Kinosaal – nun komfortabel und luxuriös – umschlossen auf der einen Seite eine tief eingesetzte Bühne für die Leinwand und ein Orchestergraben, und gegenüber gesetzt nun der Bildwerferraum. Das Bild und der Projektionsapparat waren von nun an räumlich getrennt und im Vordergrund stand das Kinoerlebnis selbst und nicht mehr die nur technische Neuerung und das Effekt-Kino. (vgl. Boeger 1993: 11, Brauns 2007: 243) Passend zur Atmosphäre gab es nun Foyers, die als 'Übergangszone' zwischen der Außen- und der Filmwelt fungierten, ausgestattet mit einer Kasse, einer Garderobe und Separees. Die Beleuchtung war gedimmt und Fenster im Kinosaal meist nicht mehr vorhanden. Die Portale waren aufwändig gestaltet und in jeglicher Ausstattung und Architektur wurde der Kunstcharakter des Films betont (vgl. Brauns 2007: 243-256) In den USA entstanden sogenannte 'Atmosphärische Theater' mit „übermäßigem“ (Gabler 1950: 5) Prunk, während Deutschland in der Gestaltung etwas zurück haltender war (vgl. Brosch 2003: 33f). [Siehe auch Kapitel 3] Die Größe der Filmtheater variierte in der Frühzeit bis zu 6000 Plätzen in den USA, in Europa weniger und in Deutschland etwa zwischen 1000 und 2500 Plätzen (vgl. Boeger 1993: 12, Brosch 2003: 34f). Mit der Einführung des Tonfilms Ende der 20er Jahre mussten im Filmtheaterbau akustische Faktoren berücksichtigt werden. [Siehe Kapitel 2.1] Die Neubauten zu dieser Zeit konnten schon während der Planung auf die Akustik eingehen, während die bestehenden Theaterbauten bestmöglich angepasst wurden (vgl. Bode 1957: 17f, Brosch 2003: 34f, Gabler 1950: 6f, Zeh 2007: 36). Das Aufkommen des Farbfilms 1935 stellte größere Anforderungen an die Technik als an die Architektur. Lichtstärkere Projektoren wurden angeschafft und die Architekten gaben den Zuschauerräumen farbkräftigere Anstriche um „so die Einheit von Raum und Bildzone zu betonen“ (Bode 1957: 19, vgl. Brosch 2003: 36). In den Jahren 1933 bis 1945 war die architektonische Gestaltung der Filmtheater den nationalsozialistischen Regeln des Staates unterworfen:
„Durchgehend ist die Sauberkeit der Baugesinnung. Keine prunkenden Fassaden, kein falscher Pomp, keine Bildreklame, die die Fläche zerreisst, sondern würdig ohne Pomp wirken alle diese Theater“ (Zeh 2007: 38).
Während des zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland etwa zwei Drittel aller Kinobauten zerstört (vgl. Brosch 2003: 20, Zeh 2007: 41). In der Nachkriegszeit begann der Wiederaufbau und die Bauaufgabe Kino erlebte ihren Höhepunkt (vgl. Bode 1957: 21, Brosch 2003: 150f). Mit dem Raumbildverfahren kamen innenarchitektonische Umbauten. Schon 1927 gab es erste Raumbildexperimente, dem verschiedene Verfahren, wie Cinerama, Plastorama, VistaVision und CinemaScope folgten. (vgl. Bode 1957: 19f, Brosch 2003: 36-39, Zeh 2007: 53f) Um dem Besucherrückgang durch das Konkurrenzmedium Fernsehen, die Motorisierung und das veränderte Freizeitverhalten entgegen zu wirken, musste man den Kinobesuchern einen neuen Anreiz geben (vgl. Bode 1957: 19-22, Brosch 2003: 27, Zeh 2007: 53f). Beim Breitbild kam der Aufnahmewinkel von bis zu 146° dem menschlichen Blickwinkel von 180° sehr nah (vgl. Brosch 2003: 37). Von den verschiedenen Breitwandformaten konnte sich letztlich CinemaScope durchsetzen. Dem neuen Breitbild musste die Kinoarchitektur nun angepasst werden. Die Breitwand änderte die Bühne, welche ohnehin weg fiel. Seitenränge, Logen, Orgelkammern, Orchestergräben (falls noch vorhanden) wurden abgeschafft. Die Sitzreihen wurden reduziert und die Bestuhlung neu angeordnet. Mancher Orts musste der Vorführraum verlegt werden, was den Umbau des Balkons nach sich zog. Ebenso führte der Saalumbau meist zu einer Erneuerung der Wandbespannung. Schalldämmende Verkleidungen, Raumlautsprecher- und Effektlautsprechergruppen wurden platziert. (vgl. Bode 1957: 19f, Brosch 2003: 39) 1955 waren ein Drittel der deutschen Kinos auf Cinemascope umgestellt (vgl. Brosch 2003: 40). Die architektonische Gestaltung in der DDR wandelte sich 1953 mit Chruschtschow vom Sozialistischen Realismus zur Montagebauweise und Typenprojektierung. Später kam man jedoch wieder von den kubusartigen Saalbaukörpern ab, da Typenbauten im Sinne des städtebaulichen Gesamtbildes unzweckmäßig waren. Man beschränkte sich auf die Typisierung von Parametern wie Bestuhlungen oder Deckenverkleidungen. (vgl. Zeh 2007: 52f) Ende der 50er Jahre erlebte das Kino in Deutschland eine Krise. Die großen Säle waren meist nur noch halb leer. Die Folge waren Umbauten der großen Säle in mehrere „Schachtel-Kinos“ (Brosch 2003: 26) oder sie wurden gleich geschlossen. Aber nicht nur aus finanziellem Ruin kam es zum Kinoschwund. Mit dem Entstehen der Supermarkt-Ketten Anfang der 60er-Jahre erhielten viele Kinobesitzer lukrative Angebote, da die gegebenen Räumlichkeiten (fensterlos, ebenerdig, die Größe, städtebaulicher Kontext) einfach ideal waren. (vgl. Brosch 2003: 145f) Ende der 70er Jahre entstanden Kinocenter nach amerikanischem Vorbild. Seit Ende der 80er Jahre entstehen in Deutschland die Multiplex-Kinos. „Städtebaulich markant“ thematisiert die Architektur das Kino auf „zeitgemäße Weise“ (Brosch 2003: 150). Es wird Wert gelegt auf große Leinwände und die Gestaltung der Foyers mit Bars und Sitzgelegenheiten. Mit der politischen Wende folgte zu Beginn der 90er Jahre das Aus vieler vorher staatlich subventionierten Kinos in der DDR (vgl. Zeh 2007: 65f, 84) Die heutige Situation der Kinos ist gemischt: Viele Multiplex-Kinos, aber auch kleinere und historische Kinos (Programmkinos) sind vertreten. Die meisten haben die digitale Umstellung auf elektronisch-optische Projektionsanlagen, mit einem digitalen Speichersystem und einem DSL- oder Satelliten-Übertragungssystem überlebt - trotz hoher Kosten. --- top


1.1 Einfluss des Tonfilms auf die Bauaufgabe

Dass es mit dem Tonfilm Ende der 20er Jahre Änderungen in der Bauaufgabe Kino – vor allem für die Innenarchitektur - gab, wie schon in Kapitel 2 kurz erwähnt, lässt sich kaum bestreiten, jedoch „entwickelte [...] sich keine signifikante, den Bautypus 'Tonfilmtheater' rechtfertigende Baugestaltung“ (Boeger 1993: 9). Aber mit dem Tonfilm nabelte sich die Bauaufgabe Kino von ihrem Vorbild dem Theaterbau ab, um so den akustischen Anforderungen gerecht zu werden (vgl. Brosch 2003: 40). Das Platten- oder Nadeltonverfahren konnte sich aufgrund seiner Schwierigkeiten nicht durchsetzen. Bei diesem Verfahren wurde versucht synchron zur Filmprojektion den Ton per Schallplatte abzuspielen. Nicht nur die Synchronisation war schwierig, auch die Leistungsfähigkeit der Lautsprecher war zur Beschallung von Sälen einfach zu gering. (vgl. Zeh 2007: 35f) Erst das Lichttonverfahren - der Film trägt gleichzeitig Bild und Ton - machte den Tonfilm möglich und führte so zu baulichen Änderungen. Mit der Einführung dieser „synthetischen Tonwiedergabe“ (Boeger 1993: 9) kam es zu neuen Anforderungen an die Raumakustik.
„Unter der Hörsamkeit eines Raumes (Raumakustik) versteht man die Gesamtheit aller für diesen Raum charakteristischen Beeinflussungen, die in diesem Raum erzeugter Schall bei seiner Ausbreitung erleidet.“ (Gabler 1932: 1)
Die Aufnahme des Tons auf Film brachte den Effekt des unerwünschten Nachhalls mit sich, gegen den man nun mit schallabsorbierenden Bauformen und -stoffen vorzugehen versuchte (vgl. Boeger 1993: 9, Brosch 2003: 35). Die Umstellung der Kinos in Deutschland dauerte von ca. 1928 bis 1932. 1929 waren es von 5200 Kinos in Berlin nur 223, die Tonfilme zeigen konnten. 1930 waren es 830, 1931 waren es 2446 und 1932 waren es 3500 Kinos. (vgl. Bode 1957: 17) Die Kosten waren für viele Kinobesitzer eine hohe Belastung. Für den Umbau eines Kinosaals mit 600-900 Plätzen konnte man mit Kosten von 2000-3000 RM rechnen und das bei einer Reineinnahme von 0,50 RM (niedrigster Satz) pro Platz. (vgl. Gabler 1932: 36) Auf Grund der Kosten für die neue Technik und die neue innere Gestaltung gab es auch weniger neue Kinobauten in diesen Jahren (vgl. Boeger 1993: 9, Zeh 2007: 35f). Um die optimale Tonverteilung zu gewährleisten musste der Kinosaal schallabsorbierende und -dämmende Eigenschaften besitzen. Das betraf die Form des Grundrisses – am besten trichterförmig, und weder sehr breit noch sehr hoch –, die verwendeten Materialien – schallschluckend – und die Gestaltung der Wände – stark gegliedert – und Decken – wie zum Beispiel mit Schallschluckputz, WeichfaserAkustikplatten oder Holzverkleidungen versehen. (vgl. Bode 1957: 17f, 96-99, Brosch 2003: 35, Gabler 1932: 26-31, Gabler 1950: 36-61, Zeh 2007: 35f)

Tonumbauten
(Quelle: Gabler 1950: 50 Abb.53)
Maßnahmen zu Umbauten hinsichtlich der Raumakustik nach Gabler.

Bei bestehenden Kinos wurden die Wände mit weichen Stoffen, wie Samt oder Plüsch, in den 50ern und 60ern auch gern mit Nesselstoff verkleidet. Auch die Art der Anbringung und die Wandgliederung waren entscheidend. Typisch war das Rautenmuster, da die Lufträume dazwischen ebenso schallabsorbierende Funktion hatten. Stark gegliederte Oberflächen waren ideal um Sprache und Musik gut wieder zu geben. Auch die Saaldecken wurden neu gegliedert oder abgehangen und mit Akustikelementen versehen. Schalldämmende Maßnahmen gegen die Störgeräusche von Lüftungsanlagen, vom Bildwerferraum oder von außen waren zum einen spezielle dämmende Elemente an den Wänden, zum anderen die Bildung von Pufferzonen, wie zum Beispiel ein Umgang um den Saal. (vgl. Bode 1957: 17f, Zeh 2007: 131-135) Die Fußböden wurden durch „Korklinoleum“ (Zeh 2007: 136) bereits Ende der 20er Jahre trittschallgedämmt. In den 50er Jahren wurde ein Gummi- oder PVC-Belag empfohlen, ab den 90er Jahren ist es ein „vollflächig verklebter, schwerentflammbarer Textilbelag“ (Gabler 1950: 37). Mit Hochpolstergestühl, was heutzutage noch eingesetzt wird, versuchte man „den unbesetzten Platz in seinem Schallschluckwert möglichst weit dem eines Besuchers anzunähern“ (Gabler 1950: 87). Die verbesserte Technik der Tonfilm-Projektoren brachte auch ein schärferes und helleres Bild mit sich, wodurch die Architekten den Kinosaal nicht vollkommen tiefschwarz verdunkeln mussten, sondern sich der Farbigkeit zu wenden konnten (vgl. Bode 1957: 18). Die Leinwand hatte tondurchlässig zu sein, da der Lautsprecher – anfangs noch ein einzelner Schalltrichter - mittig hinter der Leinwand positioniert wurde, um so die gleiche Wirkungsrichtung von Bild und Ton zu erhalten. In den 50er Jahren mit dem Aufkommen des Vier-Kanal-Magnettons positionierte man drei Lautsprecher hinter der Leinwand und je nach Größe des Saals verschiedene Effektlautsprechergruppen an der Saaldecke. (vgl. Bode 1957: 17f, 116, Zeh 2007: 131) Bei der Weiterentwicklung zum Sechs-Kanal-Magnetton waren es fünf Lautsprecher hinter der Leinwand, eingesetzt in Verbindung mit der 70mm-Projektionstechnik (vgl. Zeh 2007: 131). Weitere heutige Systeme sind SDDS, Dolby Digital und DTS, welche noch mehr Lautsprecher und Effektlautsprechergruppen nutzen. Die verschieden kalibrierten Lautsprecher sind dabei im gesamten Raum verteilt. (vgl. Cinefreaks 2009b, 2009c, Hallock 2006) Ebenso wurde das Iosono-System entwickelt, bei dem ein Ring aus Lautsprechern die Zuschauer umgibt. Teilweise sind die Lautsprecher in den Wänden versteckt, wobei sich hier jede zweite Wandplatte mit einem Flachlautsprecher abwechselt. (vgl. Edling 2009, Fraunhofer IUK 2005, Iosono-Sound 2009, Knott 2004) --- top


2 Architekturtypus

Ein allgemein gültiger Grundtypus ist schwer zu finden. Hier soll lediglich versucht werden, wichtige und mögliche Räumlichkeiten aufzuzeigen. Kern eines jeden Kinos ist der – meist fensterlose – Zuschauerraum, mit oder ohne Rang oder Logen. Dieser braucht zumindest eine Leinwand - größer oder kleiner -, zu frühen Zeiten ein Bühnenhaus, Lautsprecheranlage, Heizung, Lüftung und Bestuhlung – mehr oder weniger luxuriös. (vgl. Bode 1957: 35, Boeger 1993: 11, Brosch 2003: 41) Die Beschaffenheit und Gestaltung der Wände, Decken und Fußböden ist von den Regeln der Akustik, den technischen Möglichkeiten, den baupolizeilichen und bauamtlichen Vorschriften und natürlich vom Geschmack der Zeit abhängig (vgl. Boeger 1993: 14, Zeh 2007: 35). Weitere Räume für das Publikum sind die Eingangsräume mit Kassenhalle, Foyer, Umgänge, Treppenanlagen, sanitäre Anlagen, Aufenthaltsräume mit Imbiss, vereinzelt Garderoben. Räume für die Technik sind der Bildwerferraum mit Lichtsteuerung und separatem Fluchtweg, Nebenräume für Heizungs- und Lüftungsanlage und der Schaltraum. Bei größeren Filmtheatern konnten Räume zur Aufbewahrung der Scheinwerfer oder Technik und ein Umwickelraum eingerichtet werden. Die Räume der Geschäftsführung bilden sich aus Büro, Personalraum und privatem WC. (vgl. Bode 1957: 35, Boeger 1993: 11, Brosch 2003: 41, Gabler 1950: 12f) Vereinzelt finden sich Hausmeisterwohnung oder ein Atelier für Schaumannsarbeiten (vgl. Brosch 2003: 41). Zu Stummfilmzeiten gab es im Zuschauerraum einen Orchestergraben, Podium und Bühne. Je nach Größe und Rahmenprogramm gab es Nebenräume für Musiker, Künstler, Solisten, Dirigenten, Räume zur Aufbewahrung von Notenschriften oder Requisiten und vereinzelt sogar Räume mit Außenrampe für Tiere (vgl. Boeger 1993: 11). --- top

Kinoschemata
(Quelle: Bode 1957: 35)
Ein Betriebs-Funktionsschemata eines typischen Beispiels horizontaler Raumfolge im Lichtspieltheater.


2.1 Kinoarten

„Die Vielfalt innerhalb der Kinoarchitektur erschwert es, eine einfache Typisierung vorzunehmen. Als nahezu unmöglich erscheint es, für alle vorkommenden Typen, Begriffe festzulegen.“ (Brosch 2003: 141)
Man kann Unterscheidungen in Betrachtung der Bauweise treffen: Ob das Gebäude „additiv“ aus mehreren Komponenten zusammen gesetzt ist, oder „ob der Baukörper eine einfache geometrische Figur darstellt“ (Ebd). Bei der „deskriptiven“ Bauweise erkennt man leicht von außen, welchem Gebäudeteil welche Funktion zugeordnet ist - bei der „subordinativen“ Gestaltung überhaupt nicht (Ebd). Gabler benennt Unterteilungen nach Platzzahl, Filmausleihe, Programmgestaltung, Lage und Publikum (vgl. Gabler 1950: 7f). Brosch unterteilt nach feuerpolizeilichen und tarifvertraglichen Bestimmungen (vgl. Brosch 2003: 139). Bode bezieht sich auf die „Typenbestimmung [...] nach rein betrieblichen Gesichtspunkten“ (Bode 1957: 27) der Statistik der deutschen Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO):
„1. Filmtheater: ortsfeste, gewerblich und regelmäßig betriebene Filmspielstellen mit festeingebauten Vorführräumen. [Hier wird noch einmal in Platzzahlgruppen von 1-300, 301-500, 501-750, 751-100 und über 1000 Sitzplätze unterteilt.]
2. Mitspielstellen: ortsfeste, gewerblich und regelmäßig betriebene Filmspielstellen, die abhängig von einem Filmtheater, d.h. von einer Hauptspielstelle aus bespielt werden und für die in der Regel keine selbständigen Filmmietverträge abgeschlossen werden.
3. Wanderfilmbetriebe: Betriebe, die gewerbliche Filmvorführungen vorwiegend mit transportablen Vorführgeräten an verschiedenen Plätzen (Spielorten) veranstalten.“ (Bode 1957: 27)
Ich werde folgend einige Kinoarten erläutern, die sich im Laufe der Zeit auch nach oben genannten Kriterien benennen lassen konnten. Das Erstaufführungstheater, Premierentheater oder auch Uraufführungstheater besitzt bis zu 1500 Plätzen in guter Lage, ist aufwendig ausgestattet und mit genügend Nebenräumen versehen. Sie wurden so benannt in Bezug auf die Filmauswertung: die erste öffentliche Aufführung eines Kinofilms fand hier statt. (vgl. Bode 1957: 28, Boeger 1993: 10, Brosch 2003: 19) Ladenkinos (Abb. 1) – zumeist die Kinos der Anfangszeit – benannt nach dem Ort des Geschehens: in Geschäfts- und Wohnhäusern – waren eher einfach ausgestattet, von schlauchartigem Grundriss, ohne Galerie und ohne Gefälle der Stuhlreihen. Der Zuschauerraum wurde meist aus Umbauten bestehender Läden und Wohnungen geschaffen und hatte 50 bis 100 (max. 300) Plätze. (vgl. Boeger 1993: 15, Brauns 2007: 238, Zeh 2007: 94)
Zu den Schachtelkinos kam es ab Ende der 50er Jahre. Hier wurden weniger bis gering frequentierte Kinosäle in mehrere kleinere Kinos unterteilt. Die Ausstattung war meist weniger luxuriös. Oft gab es viel zu kleine Bildwände und der Sitzkomfort ließ zu wünschen übrig. (vgl. Brosch 2003: 26)

Schachtelkino
(Quelle: http://www.deutsches-filminstitut.de/hdf/pic/kino_3.jpg 2009)
Schachtelkino (hier aus den 70er Jahren).

Das Tageskino, Aktualitätenkino oder Journaltheater zeigte mancher Orts bis zu 24 Stunden ein sich ständig wiederholendes Programm aus Wochenschauen, Kulturfilmen, Filmreportagen, Unterhaltungsfilmen und kurzen, aktuellen oder propagandistischen Filmen. Angesiedelt waren sie meist in Großstädten an oder in der Nähe von Verkehrsknotenpunkten oder Bahnhöfen. Wegen dem ständigen Besucherwechsel mussten die Verkehrswege von und zu den Plätzen gut passierbar angelegt sein. (vgl. Bode 1957: 29, Gabler 1950: 7f)

Journalkino Cinovex ParisAuf- und Grundriss Journalkino Cinovex Paris
(Quelle: Gabler 1950: Tafel XXIII Abb. 197-199)
Journaltheater, „Cinovex“ Paris, 470 Plätze.

Die Studios, scheinbar Vorläufer der heutigen Programm- und Filmkunstkinos, spielten künstlerisch anspruchsvolle Filme bei einer Platzzahl von maximal 400 Plätzen und waren individuell ausgestattet. Meist waren sie in räumlichen und betrieblichem Zusammenhang mit großen Lichtspieltheatern eingerichtet worden. (vgl. Bode 1957: 29) Programm- und Filmkunstkinos haben heute noch ein kunst- und anspruchsvolles Filmprogramm und zeigen oft mehrere Filmen pro Tag in einem festen Monatsprogramm. Einige Häuser gehören zur "Gilde Deutscher Filmkunsttheater". (vgl. FDW 2009)
Mehrzweckgebäude dienten neben Filmvorführungen auch anderen Veranstaltungen. Die Land- und Saalkinos – benannt nach Ort bzw. Bauform – waren meist Mehrzwecksäle und Zweitaufführungs-/ Nachspieltheater. Sie spielten nur eine geringe Anzahl an Vorstellungen in Gemeinden und Vororten. Die Bildwand hing sehr hoch, da meist kein Gefälle der Bestuhlung (Klapp- oder Reihenbestuhlung) vorhanden war. (vgl. Bode 1957: 28)

Landkino
(Quelle: Bode 1957: 28)
Land-/Saalkino.

Auch Kulturzentren mit Lichtspieleinrichtung, meist von öffentlicher Hand errichtet, gehören zu den Mehrzweckbauten (vgl. Bode 1957: 30).
Die Multiplex-Kinos, seit Ende der 80er Jahre, sind riesige „Konsumtempel“ (Brosch 2003: 143) mit mehreren Kinosälen, Cafés, Restaurant und teilweise anderen Freizeiteinrichtungen. Die komfortablen Kinosäle sind klimatisiert und ausgestattet mit qualitativ hochwertigen Projektions- und Soundsystemen. Meist werden sie von Kinoketten auf riesigen Flächen samt Parkplätzen in wenig individueller Architektur errichtet, oft in räumlicher Verbindung zu anderen Funktionen wie Einkaufspassagen. (vgl. FDW 2009, Zeh 2007: 67-69)

Kristallpalast Dresden
(Quelle: http://www.halfen.pl/icms/mod_img/d/d/ddb1843317869c276072b68adfc6680e.jpg 2009)
Multiplex-Kino Kristallpalast Dresden.

Besondere Kinoformen, ohne jegliches Haus, sind Autokinos und Freilichtspiele. Der Trend des Drive-In schwappte in den 60ern aus den USA nach Europa (vgl. Brosch 2003: 24). Auf einem großen Parkplatz mit großer Leinwand kann das Publikum aus dem Fahrzeug den Film schauen. Die Tonübertragung erfolgt mittels Kopfhörer oder spezieller Radiofrequenz. (vgl. FDW 2009) Das Freiluftkino oder Open-Air-Kino braucht nur eine weiße Wand oder portable Leinwand, Bestuhlung oder Picknickdecken und einen transportablen Projektor und Lautsprecher und wird meist im Sommer bespielt (vgl. Brosch 2003: 23f, FDW 2009). --- top


3 Das Moviemento, Berlin

Das Moviemento ist das älteste, heute noch bespielte Kino nicht nur in Berlin sondern auch in Deutschland. Es ist ein Kino in der Form des ersten stationären Kinos - genauer in der Form des Ladenkinos. Nachdem 1906 ein Panoptikum die Räume verließ - hierbei handelte es sich um ein Wachsfigurenkabinett der Brüder Castan (vgl. Conrad 2007, Grabowsky 1969), eröffnete Alfred Topp, Gastronom am Kottbusser Damm 22, Ecke Boppstraße, 1907 ein Kinematographentheater über seiner Kneipe (vgl. Bertz 1987: 131). So vermuten Bertz und Lautenschläger, dass ausgehend von Topps Kino oder auch “Kino-Topp“, der Begriff “Ki[e]ntopp“, der damalige umgangssprachliche Begriff für das Kino geprägt wurde (vgl. Bertz 1987: 131, Lautenschläger 2007). Schon 1909 schrieb Alfred Döblin:
„Deutlich erhellt: der Kientopp ist ein vorzügliches Mittel gegen den Alkoholismus, schärfste Konkurrenz der Sechserdestillen; man achte, ob die Lebercirrhose [sic] und die Geburten epileptischer Kinder nicht in den nächsten zehn Jahren zurückgehen. Man nehme dem Volk und der Jugend nicht die Schundliteratur noch den Kientopp, sie brauchen die sehr blutige Kost ohne die breite Mehlpampe der volkstümlichen Literatur und die wässrigen Aufgüsse der Moral. Der Höhergebildete aber verläßt das Lokal, vor allem froh, dass das Kinema - schweigt.“ (Döblin 1909: 191f)
Die architektonische Besonderheit des Moviemento ist, dass es ein “Winkelkino“ ist. Das heißt der Hauptsaal ist über Eck angelegt, da die Raumflucht dem Grundriss des Eckhauses folgt. Der Saal wurde im Winkeleck durch eine Leinwand getrennt. Somit kam es in einem Saal zu einer spiegelverkehrten Projektion des Bildes, was aber durch einen Spiegel, welcher hinter der transparenten Leinwand und schräg zum Projektor aufgestellt wurde, wieder korrigiert wurde.(vgl. Bertz 1987: 131) Da diese Bilder jedoch ein wenig lichtschwacher und verzerrter waren als das Original, befanden sich in diesem Saal wortwörtlich die “billigen Plätze“. 1954 kostete die Nachtvorstellung im Hauptsaal 1 Mark und im Spiegelsaal nur 60 Pfennige (vgl. Siegeris 1954). Im Berliner Anzeiger von 1969 ist die Anzahl von 275 Plätzen im Hauptsaal und 77 Plätzen im Spiegelsaal verzeichnet (vgl. Grabowsky 1969). Diese Anlage konnte bis 1975 bestehen, dann wurde sie im selben Jahr abgerissen. 1988 wurde das Kino modernisiert und auf drei Säle erweitert, welche 103, 67 und 62 Plätze fassen (vgl. B'zdziach 1990, Conrad 2007).

Moviemento Berlin 1924Moviemento Berlin 1988
(Quellen: Schriftgutarchiv. Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Berlin & Praefke 2009, Bezirksamt Kreuzberg von Berlin. Abt. Bauwesen.)
Das Moviemento, Berlin 1924 & 1988.

Das Wohn- und Geschäftshaus, in dem sich das Kino befindet, wurde 1905 von dem Architekten Adolf Uedinck erbaut. Im Laufe der Jahre erfuhr das Kino viele Namens- und Besitzerwechsel. (Siehe Tabelle 1) 1984 kam es in den Besitz von Ingrid Schwibbe, welche den heutigen Namen “Moviemento“ einführte und das Kino 1988 umbaute. 2007 wurde das Kino unter dem Namen „Moviemento“ von den heutigen Besitzern: Iris Praefke, Torsten Frehse und Wulf Sörgel übernommen. Diese übernahmen die architektonische Grundstruktur des Kinos, bauten einen Wintergarten an, erneuerten die Farbgebung und die Technik und hängten 2009 zur Verbesserung der Akustik in zwei Sälen (Saal 1 und 2) eine neue Wandbespannung auf. (vgl. Kinokompendium 2009, Praefke 2009, Weber 2009a) Heute wie damals existieren immer noch – wenn auch nicht in gleicher Form – die Schaukästen und die Kartenausgabe, an denen man vorbei kommt um die Treppe hinauf zu steigen, welche in den ersten Stock zu den Sälen führt. Änderungen scheint es im Laufe der Jahre in der Fassadenstruktur gegeben zu haben, da auf älteren Fotografien noch eine durchgängige Fensterfront zu erkennen ist, die jedoch später geschlossen und mit kleineren brandschutzgerechten Fenstern versehen wurde. Ebenso hat es eine Verkürzung des kleineren Saals gegeben, welche allerdings nirgends nachzulesen ist. Ich gehe jedoch davon aus, dass dies mit dem Umbau 1988 einher gegangen sein könnte. Dies ist nicht nur von innen sondern ebenso in der äußeren Fassade erkennbar.

Fenster Moviemento 1924Fenster Moviemento 1990
(Quellen: Schriftgutarchiv. Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen. Berlin & Praefke 1990)
Das Moviemento, Berlin 1924 & 1990.

--- top


4 Das Roxy-Theater, Berlin

1928-29 erbaute Martin Punitzer im Stahlskelettbau ein Kaufhaus mit Lichtspieltheater an der Hauptstraße 78-79 in Berlin Schöneberg. Mit 1106 Plätzen gehörte es zu den Großkinos dieser Zeit. Zunächst wurde es 1929 gemietet von der „Roxy-Palast GmbH“. 1947 wurde es zum Kaufhaus umgebaut. 1951 wurde das vom Krieg zerstörte Gebäude von Paul Stohrer und Bruno Meltendorf restauriert und wieder als Lichtspieltheater mit 998 Plätzen genutzt. 1977 wurde das Kino geschlossen und die Diskothek „La Belle“ bezog die Örtlichkeiten. 1986 verübte eine libanesische Gruppe ein Bombenattentat in der Disko, daraufhin wurde der Club geschlossen. Dem folgte ein Umbau zum Supermarkt und die Restaurierung von Punitzers Fassadenentwurf. (Vgl. Boeger 1993: 121, Weber 2009b. Siehe auch Tabelle 2) Allerdings gab es leichte Veränderungen zum Entwurf. So fehlt zum einen die oberste Fensterreihe und statt einer Fläche mit Schriften im unteren Bereich, existiert dort eine weitere Fensterfront. Bisher konnte ich nicht feststellen, ob dies daran lag, dass auch der ursprüngliche Bau nicht nach dem Entwurf gebaut wurden ist oder ob bei der Restaurieung Abstriche gemacht wurden, was jedoch kaum vorstellbar ist. Heute ist das ehemalige Roxy ein Tapetengeschäft.
„Kino und Kaufhaus bilden gemeinsam einen Baublock, hängen aber im Inneren nicht miteinander zusammen. Nur in den unteren Geschossen, im Erdgeschoss, ersten Obergeschoss und Zwischengeschoss stößt der Kinobau an die Straßenfront. In den beiden Geschossen darüber greift der Kaufhausbau über das Kino, nimmt also die ganze Länge der Straßenfront ein." (Punitzer, Michael in Boeger 1993: 121)

Roxy alt Roxy Grundriss
Roxy 2009
(Quellen: Boeger 1993: Abb. 200 & 198, Kießling 2009)

In der Anwendung von geraden horizontalen und vertikalen Linien, dem rechten Winkel und in der zweckmäßigen Gestaltung entsprach das Roxy der neuen Sachlichkeit, beeinflusst von den Prinzipien des „De Stijl“. (Vgl. Boeger 1993: 24, Weber 2009b) Eine moderne Lichtarchitektur und die funktional-sachlich gegliederte Kaufhausfassade überraschten nun in einer sonst von historischer Architektur geprägten Umgebung. Lichttransparente in Grün, Blau, Violett zieren die Fassade. Das Größte ist mit Linien durch gegliedert, ganz nach dem Vorbild von Piet Mondrian.
„Das Gefüge eines rechtwinkligen Liniensystems teilt das Transparent in unterschiedliche Flächen, deren Rhythmus auch jenseits der konstruierten Komposition weiter zu schwingen schien." (Boeger 1993: 23f)
Das Thema Kino wird durch das Licht als Motiv architektonisch umgesetzt. Die horizontal verlaufenden Fenster des Gebäudes symbolisieren Filmstreifen. (Vgl. Brosch 2003: 124, Weber 2009b) Auf diese horizontalen treffen die vertikalen Streifen, nach optischen Prinzipien sorgfältig im Gleichgewicht ausbalanciert. (Vgl. Boeger 1993: 125) Mit dem Namenszug des Roxy versehen war es schon von weitem erkennbar. --- top


Zusammenfassung

Es lässt sich feststellen, dass das Kino im Laufe der Zeit zu recht zur Bauaufgabe geworden ist. Aus den Zeiten der Krise ist es immer wieder neu erwacht und heutzutage nicht mehr weg zu denken. Der Einfluss des Tonfilms auf die Rezeptionsgewohnheiten des Publikums war viel stärker als dessen Einfluss' auf die Bauaufgabe. Bei der Innenarchitektur hat sich das Kino – sagen wir – an die Erfordernisse der Zeit angepasst. Die Außenarchitektur blieb davon weitesgehend unberührt. Einen idealen Kinobau zu verallgemeinern ist nicht möglich, allgemein notwendige Räumlichkeiten aufzuzeigen schon. Es scheint wie ein Puzzle, welches immer wieder neu zusammen gefügt wird. Betrachtet man die Gegenwart und die Zukunft des Kinos, so lässt sich doch nur sagen:
„Mit Sicherheit werden auch für die weitere Zukunft immer wieder [inner- wie äußerlich] bauliche Veränderungen [des] Lichtspieltheater[s] erforderlich werden, um den Neuerungen Rechnung zu tragen.“ (Bode 1957: 66) --- top


Tabellen

Tabellen: Besitzer Moviemento & Roxy
(Quelle: Originalarbeit Kießling 2009)
Tabellen der Inhaber vom Moviemento und Roxy
--- top


Quellenverzeichnis

Literatur:
Beller, Hans. Aspekte der Filmmontage. In: Beller, Hans (Hrsg.). Handbuch der Filmmontage. Praxis und Prinzipien des Filmschnitts. München 3. Aufl. 1999. S. 9-32
Bertz, Dieter. Die Moviemento-Kinos. In: Filmzeit – Off-Kino Buch Berlin. Berlin 1987. S. 131-134
Bode, Paul. Kinos. Filmtheater und Filmvorführräume. München 1957
Boeger, Peter. Architektur der Lichtspieltheater in Berlin. Bauten und Projekte 1919 – 1930. Berlin 1993
Brauns, Jörg. Schauplätze – Zur Architektur visueller Medien. Berlin 2007
Brosch, Astrid. Kinobauten der 1950er Jahre im geteilten Deutschland. München 2003
B´zdziach, Klaus. Moviemento 1/2/3. In: Kunstamt Kreuzberg (hrsg.). Annähernd alles über Kultur. Kreuzberg-Prenzlauerberg. Berlin 1990
Döblin, Alfred. Das Theater der kleinen Leute. In: Das Theater. 1909. S. 191-192.
Frizot, Michel. Der Kinematograph. In: Neue Geschichte der Fotografie. Paris 1996. S.256
Gabler, Werner. 9. Die Akustik des Tonfilmtheaters. In: Die Bücher des Lichtspielvorführers. Halle (Saale) 1932
Gabler, Werner. Das Lichtspieltheater. Dargestellt in seinen technischen Grundlagen. Halle (Saale) 1950
Grabowsky, Jürgen. In Topps Kintopp kann man alles von 1969 zwei Seiten sehen. Berliner Anzeiger. S.4. 31.05.1969. Schriftgutarchiv. Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen Berlin.
Siegeris, H.A. Warum in Berlin das Kino „Kintopp“ heißt. Die Neue Zeitung. Nr. 50. Berlin. 28.02.1954. Schriftgutarchiv. Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen Berlin.
Toeplitz, Jerzy. Die ersten Schritte. In: Geschichte des Films. Bd. 1 1895-1928. Berlin 1992
Toeplitz, Jerzy. Das Jahrmarktkino. In: Geschichte des Films. Bd. 1 1895-1928. Berlin 1992b
Toeplitz, Jerzy. Der Amerikanische Film am Anfang seiner Karriere. In: Geschichte des Films. Bd. 1 1895-1928. Berlin 1992c
Zeh, Carola. Lichtspieltheater in Sachsen. Entwicklung, Dokumentation und Bestandsanalyse. Hamburg 2007
Zielinski, Siegfried. Audiovisionen: Kino und Fernsehen als Zwischenspiel in der Geschichte. Reinbek bei Hamburg 1989

Online:
Allary Film, TV & Media. Bildformate. Movie-College 1999-2009. In: http://www.moviecollege.de/filmschule/kamera/seitenverhaeltnis.htm 03.05.2009
Allary Film, TV & Media. Digitales Kino. Movie-College 1999-2009. In: http://www.moviecollege.de/filmschule/medien/digitales_kino.htm 03.05.2009b
DCS Digital Solutions Gmbh 2004. Digitales Kino. Die Technik. In: http://www.cinemaneteurope.com/ 03.05.2009
Digital Cinema – DLP Cinema – Digitales Kino. In: http://www.cinefreaks.com/articles/dlp_cinema/ 03.05.2009a
THX. In: http://www.cinefreaks.com/articles/THX/ 03.05.2009b
SDDS – Sony Dynamic Digital Sound In: http://www.cinefreaks.com/articles/SDDS/ 03.05.2009c
Conrad, Andreas. Berlins ältestes Filmtheater, das Moviemento in Kreuzberg, feiert seinen 100. Geburtstag. In: Tagesspiegel Berlin 22.03.2007. http://www.tagesspiegel.de/berlin/art270,2167814 26.04.2009
Edling, Julia. Fraunhofer IDMT. Projekte und Themen. 26.03.2009. In: http://www.idmt.fraunhofer. de/de/projekte_themen/index.htm 03.05.2009
FDW – Werbung im Kino e.V. Kinoarten /Qualitätsmerkmale. In: http://www.fdw.de/sites/site1a.html 04.05.2009
Filmförderungsanstalt. German Federal Film Board. Ausschreibungsmerkmale für die Ausstattung des digitalen Kino in Deutschland. Erlangen 2007. PDF-Datei. In: http://www.ffa.de 03.05.2009
Geschichte der Projektion. In: http://www.filmvorfuehrer.de/index.php/ Geschichte_der_Projektion 27.04.2009
Fraunhofer IDMT. Ilmenauer IOSONO GmbH gründet Tochterfirma in Halle. 03.08.2005 In: http://www.iuk.fraunhofer.de/index2.html? Dok_ID=80&Sp=1&MID=705&forPrinting=yes 04.05.2009
Joe Hallock. THX 1138: The 1960's Version of the Future (Part 2). 20.10.2006 In: http://www.joehallock.com/?p=77 03.05.2009
IOSONO GmbH. The Technology. In: http://www.iosono-sound.com/ 04.05.2009
Moviemento. In: 2009 http://www.kinokompendium.de/moviemento.htm 26.04.2009
Knott, Michael. Klangrevolution Iosono: 300 Boxen sorgen für Gänsehaut. 27.07.2004 In: http://www.netzwelt.de/news/66780-klangrevolutioniosono-300-boxen-sorgen.html 03.05.2009
Lautenschläger, Rolf. Die Legende vom Kintopp am 2007 Zickenplatz. In: taz Berlin 21.03.2007. In: http://www.taz.de/index.php? id=archivseite&dig=2007/03/21/a0170 26.04.2009
Weber, Klaus. Moviemento. In: http://allekinos.com/BERLIN Moviemento.htm 26.04.2009a
Weber, Klaus. Roxy. In: http://allekinos.com/BERLINRoxy.htm 26.04.2009b

Weitere Quellen:
Iris Praefke, Besitzerin Moviemento, 31.03.2009
--- top










copyright: maren kießling 2012-24 - all rights reserved.